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Moderation von Konfliktklärungen in der Rolle als Führungskraft

 


Wir brauchen uns nicht weiter vor Auseinandersetzungen,
Konflikten oder irgendwelchen Problemen mit uns selbst
und anderen zu fürchten.
Selbst Sterne krachen aufeinander und
aus ihrem Zusammenprall werden neue Welten geboren.
Heute weiß ich: So ist das Leben ...

Charlie Chaplin, an seinem 70. Geburtstag, am 16. April 1959


"Das Kennzeichen ausgezeichneter Intelligenz ist die Fähigkeit, gleichzeitig zwei widersprüchliche Ideen im Kopf zu haben und trotzdem funktionsfähig zu bleiben"

F. Scott Fitzgerald

 

 


 

Dieser Beitrag wurde auch in der Zeitschrift für systemisches Management und Organisation
"Lernende Organisation" veröffentlicht. (Ausgabe 58, November 2010 (https://www.irbw.net/zeitschrift-lo/ )

 


 

 



 

Einführung 

In meiner Tätigkeit als Coach und als Moderator von Konfliktklärungen erlebe ich des öfteren Führungskräfte, die mit folgender Situation konfrontiert sind: zwei Mitarbeiter sind miteinander in einen Konflikt geraten, den sie nicht mehr aus eigener Kraft bereinigen können, und trotzdem müssen sie aufgrund der betrieblichen Rahmenbedingungen weiterhin zusammenarbeiten. In solch einer Situation wollen viele Führungskräfte ihre Mitarbeiter dabei unterstützen, wieder eine tragfähige Arbeitsbeziehung herzustellen. Aber wie? Hier bieten sich Prinzipien des Vorgehens an, die auf dem Ansatz der gewaltfreien Kommunikation nach M. Rosenberg und der Klärungshilfe nach C. Thomann beruhen. Das Ziel ist, die Beteiligten in einem gemeinsamen Gespräch zu einer Aussprache zu ermutigen und tragfähige Vereinbarungen zu treffen, die eine Fortsetzung der Zusammenarbeit ermöglichen. Führungskräfte, mit denen ich gearbeitet habe, fanden insbesondere folgende Orientierungspunkte für die Konfliktklärung recht hilfreich:
 

Die Rolle des Klärungshelfers 


Wer die Rolle des Klärungshelfers einnimmt, hilft, dass Perspektiven, subjektive Interpretationen von Ereignissen, Interessen und unterschiedliche Bedürfnisse allen Beteiligten klarer werden und deutlich wird, worum es in dem Konflikt geht. Wenn möglich, unterstützt er die Beteiligten dabei, Vereinbarungen zu treffen, die eine konstruktivere Zusammenarbeit als bisher wieder wahrscheinlich machen. Ein Klärungshelfer kann aber nicht versprechen, dass der Wunsch, zusammenzuarbeiten wieder entsteht oder grösser wird, denn was in der Konfliktklärung zum Vorschein kommt, kann er natürlich nicht kontrollieren. Er sorgt dafür, dass jeder gleichermaßen die Gelegenheit hat, seine Sicht der Situation darzulegen. Es hat sich bewährt, dass demjenigen als erstes die Gelegenheit gegeben wird, seine Sicht darzustellen, der den grösseren Leidensdruck hat. Nicht selten ist das derjenige, der auch um das Gespräch gebeten hat. In der Rolle des Klärungshelfers verstehe ich mich als Dolmetscher zwischen verschiedenen Wirklichkeiten im zwischenmenschlichen Multiversum.
Der Unterschied zur klassischen Rolle des Klärungshelfers besteht darin, dass die Führungskraft, die ihre Führungsrolle und die damit verbundenen betrieblichen Interessen in der Konfliktklärung nicht ablegen kann, den Rahmen definiert, innerhalb dem neue Vereinbarungen für die Zukunft getroffen werden dürfen. So wird die naheliegende Idee der Kontrahenten, zukünftig nicht mehr zusammenzuarbeiten, nicht unbedingt dem Ziel der Führungskraft, ein funktionsfähiges Team aufzubauen, entsprechen.
Die Führungskraft hat nicht die Rolle des Richters, d.h. es geht nicht um die Frage der Schuld ("Wer ist hier der Sündenbock?"), sondern um die Frage: Wie ist es allen Beteiligten gelungen, miteinander dieses Problem zu schaffen?
 

Der schützende Rahmen 

Obwohl bei Konflikten häufig scheinbar um die Sache gestritten wird, geht es im Kern meist um emotionale Erlebnisse: erlebte Beleidigungen und Angriffe, Verletzungen, Gefühle des Unverstandenseins, fehlende Würdigung der eigenen Leistungen oder empfundene Überforderung. Die Besprechung von Konflikten erhöht bei den meisten Menschen die Verunsicherung - nicht zuletzt, weil gewohnte Abwehrmeachnismen (z.B. Leugnen, Schweigen, Ausweichen) während der Aussprache zeitweise ausser Kraft gesetzt werden. Die Frage stellt sich, durch welche sicherheitsspendenen Massnahmen diese Verunsicherung kompensiert werden kann. Die Erfahrung zeigt, dass es gerade bei der Klärung von Konflikten sehr hilfreich ist, einen schützenden Rahmen zu schaffen, der im wesentlichen durch drei Aspekte aufgebaut wird:

Vertrauen in die Führungskraft 

Trauen die Mitarbeiter der Führungskraft zu, dass sie ihnen beiden gleichermassen eine faire Chance bieten wird, ihre Sicht der Dinge und ihre Beweggründe für ihr Verhalten darzustellen? Wird die Führungskraft von beiden wirklich als offen und unvoreingenommen erlebt, d.h. ist sie wirklich daran interessiert, zu verstehen, was die Mitarbeiter bewegt, oder scheint sie schon ihr Urteil gefällt zu haben, wer recht hat und wer nicht?

Ein guter Ort für das Gespräch 

Im Zeitalter der Grossraumbüros ist der Arbeitsplatz der Führungskraft nicht unbedingt der beste Ort für Aussprachen. Ein guter Ort für klärende Gespräche zeichnet sich dadurch aus, dass das Gespräch von unbeteiligten Dritten nicht zufällig mitgehört wird. Die Gesprächsteilnehmer können sich in etwa gleichem Abstand zueinander setzen. Zudem ist sichergestellt, dass niemand hineinplatzt und auch kein Telefon klingelt.

Orientierung und Halt durch eine klare Gesprächsstruktur 

Es hat sich als hilfreich erwiesen, wenn ich als Klärungshelfer zu Beginn des Gesprächs neben Anlass, Ziel und Zeitrahmen auch deutlich mache, dass ich sehr daran interessiert ist, von allen Beteiligten ihre Sicht der Dinge zu erfahren ? erst vom Einen, dann vom Anderen. Hierbei geht es keinesfalls um ein rituelles Hinunterbeten von Selbstverständlichkeiten, sondern um die Vorbereitung eines Kontraktes, der erst besiegelt sein muss, bevor es dann zur Sache geht ? besiegelt zum Beispiel durch einen klaren Blickkontakt und ein glaubhaftes Kopfnicken aller Beteiligten. Wenn es diesen Kontrakt nicht gibt, existiert kein Anker in Form einer verabredeten Struktur, auf den ich mich berufen kann, wenn es dann doch einmal hoch hergeht ("Bitte, so wie eben vereinbart: erst der Eine, dann der Andere, Sie kommen gleich zu Wort").
 

Die Ebenen der Konfliktanalyse 

In meiner Praxis der Klärungshilfe hat es sich bewährt, drei Ebenen der Konfliktanalyse zu unterscheiden, auf denen ein Konflikt beleuchtet und ausgehandelt wird, um diesen zu bereinigen und zu Vereinbarungen zu kommen. Je mehr Ebenen ich einbeziehe, desto tragfähiger sind die Ergebnisse und desto grösser die Verbindlichkeit der Vereinbarungen.

Die Ebene der Inhalte 

auf dieser Ebene geht es um Fakten, Ereignisse, Informationen: Was ist geschehen? Was ist der Stand der Dinge? Welche Ergebnisse liegen vor und welche stehen noch aus? Was ist das Ziel unserer gemeinsamen Bemühungen und was haben wir auf diesem Weg schon erreicht? Aber auch: Wer hat was gesagt? Was ist vorgefallen?
Wenn ich mich auf diese Ebene beschränke, dann versuche ich, nach einer mehr oder weniger umfassenden Faktensammlung kraft des logischen Verstandes vernünftige Massnahmen abzuleiten und diese zu verabreden. Nach meiner Erfahrung versäume ich jedoch, die emotionale Energie, die in der Empörung über erlebte Geringschätzung und erlittene Verletzungen sowie Frustration angesichts unerfüllter Bedürfnisse gebunden ist, für neues Engagement freizusetzen und muss damit rechnen, dass sich diese Energie zur Unzeit als Widerstand oder wiederaufflammender Konflikt bemerkbar macht. Darum versuche ich, die nächste Ebene zu erschliessen:

Die Ebene der Aggression 

Auf dieser Ebene befinden wir uns, wenn in Form von Angriffen, Beleidigungen und Vorwürfen kommuniziert wird. Es sind die offenen und verdeckten DU-Botschaften, deren grundsätzliche Aussage lautet: Du bist Schuld! Wenn Du dich anders verhalten hättest, hätten wir kein Problem! Diese Form der Kommunikation kann ich auf dem Weg zur Ebene der Bedürfnisse nicht ganz vermeiden, ich muss nur dafür sorgen, dass wir dort nicht stecken bleiben. Hier hilft mir als Metapher der Aufbau der Erde: In diesem geologischen Bild umgibt die Ebene der Aggression die innere Glut der Erde wie ein harter kalter Felsmantel. Das Innere der Erde steht hier für den verletzlichen Teil des Menschen, seine Wünsche und Sehnsüchte, seine Befürchtungen, seine Identität. Um diesen verletzlichen Kern zu schützen, bringt er in Konflikten durch Vorwürfe und Angriffe nur indirekt zum Ausdruck, was ihm fehlt und wo es schmerzt. Angesichts solch einer emotionalen Dynamik verwundert es mich auch nicht, wenn bei tieferem "Bohren" mal die ein oder andere Eruption erfolgt. Natürlich müssen dann auch mal zum Schutz der Konfliktpartner Grenzen aufgezeigt werden ("Bitte keine derartigen Beleidigungen, aber was veranlasst sie denn, das in dieser Vehemenz zu sagen, was steckt da hinter? Es klingt, als ob da etwas wesentlich für Sie geschehen ist. Es wäre leichter für mich, wenn Sie darüber noch etwas sagen könnten...?"). Wenn ich mich zu moralischen Äusserungen hinreissen lasse und nur Verbote ausspreche wie ("In diesem Ton in Zukunft nicht mehr!") sorge ich meist nur auf einer oberflächlichen Ebene für Friedhofsruhe, kann aber nicht Frieden ermöglichen, der nur dann eine Chance hat, wenn wir uns auf die Ebene der Bedürfnisse begeben.

Die Ebene der Bedürfnisse 

Dieser Ebene werden Bedürfnisse, Interessen und Wünsche zugeordnet. Im Klärungsgespräch bin ich ähnlich wie ein Archäologe bemüht, unter dem spitzen, scharfen Geröll der Vorwürfe sorgsam die Bedürfnisse herauszuarbeiten. Sie drücken sich ausnahmslos als ICH-Botschaften aus, d.h. es sind Aussagen über unsere unsere Empfindungen und das was wir brauchen, um mit jemandem anderem gut zusammenarbeiten zu können. Es ist mir wichtig, diese Bedürfnisse deutlich werden zu lassen, denn nur so können Fragen gestellt werden, deren ehrliche Beantwortung den Boden für Vereinbarungen mit maximaler Verbindlichkeit bereiten:
"Was wünschen Sie sich voneinander für die Zukunft, wenn wieder Situation X eintritt?" "Was brauchen Sie beide für eine gute Zusammenarbeit?" "Was würde Ihnen helfen, den Wunsch des anderen zu erkennen und ggf. auch zu erfüllen?"

Die im folgenden erläuterte kontrollierte Explosion dient dazu, alle drei Ebenen der Konfliktanalyse mit einzubeziehen:
 

die kontrollierte Explosion 
 

 



Die Kunst der kontrollierten Explosion in der Konfliktklärung ist vergleichbar mit der kontrollierten Knallgasexplosion, die in den Kraftwerken unserer Zellen, den so genannten Mitochondrien, stattfindet, um die Energie, die bei der Zusammenführung von Sauerstoff-Atomen und Wasserstoffatomen freigesetzt wird, für uns zu nutzen. Interessanterweise lässt sich die Metapher sogar noch etwas weiter ausreizen: So wie bei der Knallgasexplosion als Endprodukt H2O (Wasser) ensteht, fliessen in der Konfliktklärung mitunter auch Tränen.

Was für das Knallgas der explosionsauslösende Funke ist, ist im gärenden Konflikt der aggressive Vorwurf. Vorwürfe werden in der Regel als Angriff wahrgenommen, den es abzuwehren gilt ? häufig reflexhaft mit einem Gegenvorwurf, womit nicht selten eine Eskalationsspirale begonnen wird. Diese dann aus eigenen Kräften wieder zu beenden, fällt den beteiligten Konfliktparteien immer schwerer, je länger sie in dieser Eskalationsspirale schon ihre Runden drehen, denn als beleidigend und verletzend empfundene Aussagen ziehen härtere Vorwürfe nach sich, die wiederum zu noch tieferen Verletzungen und härteren Anschuldigungen führen. Vorwürfe aber deshalb einfach zu verbieten, habe ich noch nie als hilfreich für die Klärung erlebt, denn hinter diesen Vorwürfen steckt häufig empfundenes Unrecht, erlebte Abwertung oder Missachtung wesentlicher Bedürfnisse. Der Vorwurf ist für mich eine Botschaft, die sich lohnt, zu entschlüsseln. Die Kunst ist es, die Gesprächspartner dazu anzuregen, statt eines Vorwurfs dem anderen mitzuteilen, welches wichtige Bedürfnis in einer konkreten Situation unerfüllt geblieben ist.
Während die unkontrollierte Explosion in Konflikten ein Aufschaukeln von gegenseitig zugeschleuderten Vorwürfen, Beleidigungen und Angriffen bedeutet, ohne dass noch wirklich zugehört wird, wird bei der kontrollierten Explosion in der Konfliktklärung schrittweise vorgegangen:

Vorwürfe in Wünsche umwandeln 

Wenn ein Vorwurf geäussert wird, arbeite ich zunächst durch aktives Zuhören heraus, welcher unerfüllte Wunsch bzw. welches unerfüllte Bedürfnis diesem Vorwurf zugrunde liegt. Der Vorwurf hat typischerweise das Format einer klassischen Du-Botschaft. Hinter der Aussage "Du bist zu dominant!" kann der unerfüllte Wunsch zum Vorschein kommen: "Ich wünsche mir, Du würdest auch mich einmal zu Wort kommen lassen." Diese Aussage hat das Format einer Ich-Botschaft.
Ist das Bedürfnis herausgearbeitet, hat es sich bewährt, den anderen zu fragen, ob er diesen Wunsch verstanden hat - ungeachtet dessen, ob er ihn erfüllen mag oder kann. Erst wenn dieser in eigenen Worten wiedergegeben hat, was er verstanden hat und der Konfliktpartner mit der Zusammenfassung zufrieden ist, wird er nun aufgefordert, seinerseits seinen Wunsch bzg. einer bestimmten Situation zu schildern. Der Zyklus in Form der Schrittfolge ...

  • Vorwurf
  • Aktiv-Zuhören
  • dahinter liegenden Wunsch äussern
  • vom Konfliktpartner zusammenfassen lassen, was vestanden wurde
    ... wird solange wechselseitig vollzogen, bis alle wichtigen Interessen / Bedürfnisse herausgearbeitet worden sind. In der Regel wird mit jedem Vorwurf der erfolgreich in einen nachvollziehbaren Wunsch umgewandelt und als solcher glaubhaft verstanden wurde, Energie freigesetzt (sie ist nicht mehr in Angriff und Verteidigung gebunden) und steht für eine neue Form des Bezogenseins zur Verfügung.

 

Vom Allgemeinen zum Konkreten 

In Konfliktgesprächen höre ich oft verallgemeinernde Behauptungen ("immer", "nie", "überhaupt nicht", "ganz und gar", ...) sowie eher unfreundliche Zuschreibungen von Persönlichkeitseigenschaften, die das unerwünschte Verhalten des anderen erklären und damit auch festschreiben ("faul", "unfähig", "egoistisch").

Auf dieser allgemeinen Ebene der Wirklichkeitsbeschreibung kann ich nichts ausrichten. Darum verlasse ich sie so schnell wie möglich, in dem ich interessiert nachfrage, in welcher konkreten Situation sich denn dieser Eindruck aufgedrängt hat. ("In welcher Situation sind Sie aufgrund welcher Beobachtungen / Erfahrungen zu dem Eindruck gekommen, Herr X sei "unfähig"?) Hier bin ich hartnäckig, denn nur anhand eines konkreten Beispiels lässt sich miteinander untersuchen, welche Wünsche und Verhaltensmuster in einer gegebenen Situation zu einem Konflikt geführt haben. Und das ist die Voraussetzung für die gemeinsame Suche nach nützlicheren Verhaltensweisen, denn es zeigt sich in meiner Praxis sehr oft, dass nicht die unterschiedlichen Bedürfnisse das Problem sind, sondern die gewählten Strategien, mit denen jeder versucht, zu dem zu kommen - und notfalls zu kämpfen - was ihm am Herzen liegt. So bereite ich den Boden für die Frage, ob es nicht auch andere Möglichkeiten gibt, die eigenen Interessen und Bedürfnisse zu wahren, ohne dem anderen dabei sprichwörtlich auf die Füsse zu treten.

Das Prinzip der Allparteilichkeit 

Bei der kontrollierten Explosion beherzige ich tunlichst das Prinzip der Allparteilichkeit:
Ich begebe mich durch Nachfragen und aktives Zuhören wechselweise in die Wirklichkeit jedes Beteiligten und betrachte aus seiner Sicht die Situation.
Es besteht die Gefahr, sich bei hierbei in der Wirklichkeitsinterpretation eines Konfliktpartners zu verfangen - zum Beispiel wenn alles sehr logisch klingt und dieser Mensch mir sowieso sympathischer ist. Sobald also das einfühlende Zuhören gelungen ist ("Jetzt verstehe ich, wie das für Sie gewesen sein muss!") darf ich mir diese Sicht nicht zu eigen machen, wenn ich offen bleiben will für ganz andere Sichtweisen / Interpretationen des anderen. Wenn das nicht gelingt, gerate ich schnell in das beliebte Opfer-Retter-Verfolger-Spiel. Das funktioniert so:
Viele Konfliktpartner sind bemüht, unbeteiligte Dritte als Verbündete zu gewinnen, insbesondere ihre Führungskraft. Wenn ich mich auf die eine oder andere Seite ziehen lasse, schlüpfe ich schnell in die Rolle des Retters für denjenigen, dem es gelungen ist, mich als Verbündeten zu gewinnen und gerate damit automatisch in die Rolle des Verfolgers für den anderen Konfliktpartner, der sich nun von mir ebenfalls beschuldigt und nicht mehr verstanden fühlt. Das erhöht verständlicherweise den Widerstand und verhindert die Vereinbarungen, in denen jeder seinen Teil zur Lösung des Konfliktes beiträgt. Deshalb achte ich sehr darauf, allparteilich zu bleiben.
 

 



Dolmetscher zwischen den Wirklichkeiten sein 

Ein Dolmetscher ermöglicht die Kommunikation zwischen Menschen, die unterschiedliche Sprachen sprechen. In der Konfliktklärung besteht die Verständigungsbarriere aus verschiedenen Bausteinen, z. B. unterschiedliche Interessen und Perspekiven, Vorurteile bzw. festgefahrene mentale Bilder des jeweils anderen ("perfektionistisch", "obrigkeitshörig", "hinterhältig") und bereits stattgefundene Veletzungen, die zu Rückzug und Resignation geführt haben.
Diese Verständigungsbarriere gilt es im Sinne der kontrollierten Explosion (siehe oben) schrittweise abzubauen.

Dabei hilft mir, im Hinterkopf zu behalten, dass Zuhören und Zusammenfassen nur aufmerksames, einfühlendes Wahrnehmen dessen bedeutet, was den Sprechenden in diesem Augenblick bewegt und keineswegs Recht geben. Ich schenke mit meinem aufrichtigen Zuhören und Verstehen wollen Aufmerksamkeit, aber nicht meine Zustimmung.

Hilfreich ist für mich, die Intensität des aktiven Zuhörens bewusst zu variieren:

  • Stufe 1: Ganz Ohr sein. Ich höre einfach zu, lasse das Gehörte auf mich wirken, nehme innerlich Anteil und betrachte das Vorgefallene unvoreingenommen aus Sicht des Erzählenden.
  • Stufe 2: Mit eigenen Worten die Essenz des Gesagten auf den Punkt bringen. Ich fasse gelegentlich zusammen, was ich inhaltlich verstanden habe und frage nach, ob sich der MA von mir verstanden fühlt. Beispiel: "Sie meinen, wir berücksichtigen die Kunden nicht genügend."
  • Stufe 3: Aus dem Herzen sprechen. Ich teile auch mit, welche Gefühle ich wahrnehme. Beispiel: "Sie haben den Eindruck, dass Sie für Ihre Arbeit nicht genügend Anerkennung bekommen und das ärgert Sie?"

 

 

ein gutes Ende muss nicht Happy End bedeuten 

Ein gutes Ende der Konfliktklärung ist für mich dann erreicht, wenn etwas klarer geworden ist: Wer will was? Was ist jedem wichtig? Neben der gewonnenen Klarheit zählen für eine Führungskraft natürlich auch gemeinsam entwickelte Vereinbarungen, die eine fruchtbare Zusammenarbeit wieder ermöglichen. Hierbei hat sich gezeigt, dass es sich lohnt darauf zu achten, dass jeder einen Beitrag für eine bessere Zusammenarbeit leistet, denn wenn die Last der Veränderung nur bei einem Konfliktpartner liegt, hat sich dies im Rückblick nicht selten als Symptom einer subtilen Schuldzuweisung entpuppt. Ein gutes Ergebnis der Klärungshilfe kann jedoch auch sein, dass nach ernsthaften Bemühungen, neue Wege der Zusammenarbeit zu finden, klar geworden ist, dass es einfach nicht mehr geht und eine würdevolle Beendigung der Kooperation die bessere Lösung ist. Dann würdige ich auch solch ein Ergebnis, denn ich erlebe immer wieder: die Kraft liegt in der Wahrheit und nicht im Schein.

 


 

Literatur 
 

  • Bohm, D.: Der Dialog - Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen. Klett-Cotta, 2005
  • Fisher, R.; Ury, W., Patton, B.: Das Harvard-Konzept, Der Klassiker der Verhandlungstechnik, Campus Verlag, 23. Auflage, 2009
  • Hyams, Joe: Der Weg der leeren Hand, ZEN in der Kunst des Kampfes, Schirner Verlag Darmstadt, 2005
  • Leymann, Heinz: Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann. DGVT-Verlag, Tübingen 1996
  • Pörksen, Bernhard; Schulz von Thun, Friedemann: Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik. Hanser Verlag, 2020.
  • Struck, D.; Fleissner, A.: Die 45 Mobbing Antworten - Ein Leitfaden für Betroffene, Arbeitgeber, Betriebs- und Personalräte sowie sonstige Interessensvertreter und Berater. Juristische Schriftenreihe, 2005.
  • Thomann, Christoph; Schulz von Thun, F.: Klärungshilfe 2: Konfliktklärung im Beruf: Methoden und Modelle klärender Gespräche, 2004
  • Welche Rolle spielt die Gewalt in der Evolutionsgeschichte der Menschheit? Der britische Archäologe und Historiker Ian Morris untersucht in seinem Buch "Krieg. Wozu er gut ist" (Campus Verlag, Frankfurt am Main; 528 Seiten; 26,99 Euro) die Auswirkungen von Kampf und Eroberung in der Geschichte seit der Steinzeit. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass die Gewalt während der vergangenen 10 000 Jahre kontinuierlich zurückgegangen sei - trotz immer wiederkehrender Rückfälle in die Barbarei. An dieser Grundtendenz, so Morris, habe auch das schreckliche 20. Jahrhundert nichts geändert. Aus einer imposanten militärischen Gesamtschau von den Reichsgründungen der Antike bis in die Gegenwart zieht er die provokante Schlussfolgerung, dass der Krieg, aufs Ganze gesehen, die Erde zu einem besseren Daseinsort gemacht habe. In den nächsten 50 Jahren könne sogar der uralte Traum von einer Welt ohne Krieg in Erfüllung gehen. Morris, der in seinem vorangegangenen Bestseller "Wer regiert die Welt?" die Gründe für die Vorherrschaft des Westens in der Neuzeit analysiert, lehrt an der Stanford University in Kalifornien.
    Quelle: Der Spiegel, 2014 / Nr. 2 "Krieg als langfristiger Friedensstifter"
     


 

 


 

Weblinks 
 

  • Das Wertequadrat ist ein nützliches Modell für den Umgang mit Konflikten und wird hier anhand von Beispielen ausführlich erläutert:
    Die Quadratur der Werte
  • Die konstruktive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven, Meinungen und Interessen ist unverzichtbar für demokratische Gesellschaften und gemeinsames Lernen in Unternehmen. Wir erleben eine Polarisierung öffentlicher Debatten und eine bedrohlich zunehmende Neigung, Andersdenkenden nicht mehr zuzuhören, das Gespräch zu verweigern und sie nur noch abzuwerten, ja zu bekämpfen und mundtot zu machen. In dem Artikel ''The Dying Art of Disagreement'', erschienen in der New York Times, wirbt Bret Stephens dafür, sich in der Kunst der Auseinandersetzung zu üben - zum Wohle der Freiheit und Demokratie. Auch mit schrecklich anmutenden Andersdenkenden - ein äusserst inspirierender Artikel finde ich:
    The Dying Art of Disagreement
  • Ein sehr interessantes Entscheidungsverfahren für Gruppen ist das sogenannte systemische Konsensieren. Es nimmt Rücksicht auf die verschieden ausgeprägten Bedenken angesichts verschiedener Alternativen, die zur Auswahl stehen und maximiert so die Tragfähigkeit der getroffenen Entscheidung. Eine sehr anschauliche Beschreibung findet sich hier:
    http://www.sk-prinzip.net/
  • Manchmal müssen wir Menschen, mit denen wir beruflich, freundschaftlich oder partnerschaftlich verbunden sind, schlechte Nachrichten überbringen, sprich: ihnen eine bittere Wahrheit zumuten. Wie können wir einfühlsam und doch standhaft bleiben, wie uns schützen? Und würdevoll für Klarheit sorgen? Auf diese Fragen gehe ich hier ein: Die Kunst, schlechte Nachrichten zu überbringen - und zu überleben
  • Was Geschehnisse in einem Heizungskeller mit der Entwicklung von Konflikten zu tun haben - und wie emotional wieder aufgeräumt werden kann, beschreibe ich in einem kleinen Essay:
    Konflikteskalation im Heizungskeller
  • Über den Umgang mit singenden Drachen
  • Was ist Klärungshilfe?
  • Moderation und Führung